Hannovers Marktkirche ist ein traditionsreiches Gebäude mit bewegter Geschichte. Erstmals 1238 urkundlich erwähnt, geht ihre Historie bis ins 12. Jahrhundert zurück, in dem an ihrer Stelle ein romanischer Vorgängerbau stand. Nachdem im Jahre 1533 in der backsteingotischen Hallenkirche die Kirchengemeinde ihr Bekenntnis zu Luthers reformatorischen Lehren abgelegt hatte, wurde sie 1536 evangelisch.[1] Im Bombenregen des Zweiten Weltkriegs wurde sie bis auf die Grundmauern zerstört. Ihr Wiederaufbau in der Nachkriegszeit war eines der ersten Projekte des Architekten Dieter Oesterlen, dessen Werke noch heute das Stadtbild der niedersächsischen Metropole nachhaltig prägen.

Anlässlich eines Besuches zum 500. Jubiläum der Reformation im Jahre 2017 besuchte Altbundeskanzler und Hannoveraner Ehrenbürger Gerhard Schröder die Marktkirche. Links des Eingangs steht ein Luther-Standbild mit ernster Miene, rechts, so dachte sich der Altkanzler, sei aber doch noch ein Platz frei. Spontan überlegte sich Schröder, seinen Künstlerfreund und ehemaligen Rektor der Kunstakademie Düsseldorf, Markus Lüpertz, zu bitten, für diesen freien Platz „einen Luther“ zu fertigen, den Schröder der Kirche spenden wollte. Nun haben Hannover und Skulpturen eine Vorgeschichte – manch einer sagt, die Stadt habe zu viele davon –, weshalb eine andere Idee geäußert wurde: ein „Reformationsfenster“, das passend zur Einführung des Reformationstags als gesetzlichen Feiertags in Niedersachsen die Kirche fortan zieren sollte.

Lüpertz fertigte sodann einen Entwurf an. Das dreizehn Meter hohe Spitzbogenfenster aus Buntglas soll einen weißgewandeten Luther zeigen; den Entwurf zieren allerdings auch fünf Fleischfliegen, wohl als Symbol für den Herrn der Fliegen und als Hommage an den berühmten Vorfall in der Wartburg, in der Luther der Überlieferung nach beim Schreiben von einer Fliege gestört worden war, die er als Inkarnation des Leibhaftigen wahrnahm und mit einem gezielten Wurf mit einem Tintenfass (der Fleck ist bis heute sichtbar und wird regelmäßig „restauriert“) den Garaus machen wollte.

Kaum war dieser Entwurf an die Öffentlichkeit gelangt, regte sich auch schon Widerstand aus gleich zwei Lagern: Einigen Bürgern waren die Fliegen ein Dorn im Auge, da sie an den Teufel erinnerten, Ekel hervorriefen oder auch „die fünf Ehefrauen Gerhard Schröders repräsentierten“. Gleichzeitig meldete sich der Stiefsohn und Erbe des Architekten Oesterlen, Rechtsanwalt Georg Bissen, der auch die Urheberrechte seines Stiefvaters verwaltet, aus seiner Wahlheimat Tokio zu Wort. Bissen sperrt sich gegen den Einbau des Fensters, weil es sich nicht mit dem architektonischen Konzept der Kirche vereinbaren lasse. Sein Vater habe mit der Freilegung des Backsteingemäuers „schmucklose Wucht und ruppige Großartigkeit“ erreichen wollen; das Fenster zerstöre die „großartige Einfachheit und Geschlossenheit des Raumes“. Zudem hinterfragen einige, woher die rund € 150.000 stammen, die der Auftrag insgesamt kostet. Auf die Frage, ob es sich um „russisches Geld“ handele, antwortete Schröder, die Finanzierung werde zur Gänze aus Vortragshonoraren des Altkanzlers in Deutschland bestritten.

Aufgrund der großen medialen Aufmerksamkeit, die vor allem durch die Beteiligung Schröders und Lüpertz‘ zustande kommt, aber auch auf die Kontroverse zurückzuführen ist, hat der Kirchenvorstand vor der Entscheidung für den Einbau zunächst eine intensive Debatte geführt und alle zustimmenden und ablehnenden Positionen gewürdigt, berichtet Pastorin Hanna Kreisel-Liebermann.

Nachdem nun Bissen sein Veto verkündet hatte, bot ihm der Kirchenvorstand eine Mediation zur Klärung des Konflikts an, die Bissen aber ablehnte. In Juristenkreisen hat sich mittlerweile eine Meinung herausgebildet, nach der Oesterlen durch seine eigenwillige Umgestaltung der Kirche ein Urheberrecht an dem Sakralbau erworben haben könnte. Es ist insofern grundsätzlich die Frage zu klären, ob ein solches Urheberrecht besteht und ob es schwerer wiegt als das Recht einer Kirchengemeinde, seinen Religionsausübungsort nach den eigenen und den Wünschen der Glaubensgemeinde zu gestalten.

Insgesamt hat Bissen nun zweimal das Angebot der Kirchengemeinde abgelehnt, den Streit einvernehmlich beizulegen.

Trotzdem, so eine Vertreterin der Gemeinde Markkirche, sei man weiterhin sehr an einer Mediation interessiert. Die ehemalige niedersächsische Justizministerin Antje Niewisch-Lennartz (Die Grünen) würde eine etwaige Mediation auch gern begleiten, weil sie sich sehr mit der Kirche verbunden fühlt.

Nachdem nun aber erst einmal keine Einigung in Sicht ist, hat die Gemeinde beschlossen, das Fenster in Auftrag zu geben und einzubauen, was – Stand Mai 2019 – einige Monate in Anspruch nehmen wird. Wie und ob Bissen reagiert, wolle man abwarten, einen Rechtsstreit angesichts der bereits langen Dauer der Verhandlungen und mehrfachen Angebote konsensorientierter Beilegung des Konflikts aber in Kauf nehmen.

Dr. Lewis Johnston

Quellen: www.ndr.de; Reinhard Bingener, in: FAZ v. 20. Dezember 2018; Martin Zips, in: Süddeutsche Zeitung v. 13. Oktober 2018; Süddeutsche Zeitung v. 23. April 2018; Hannoversche Allgemeine Zeitung v. 8. April 2019 sowie v. 21. Juni 2018; Ulrich Exner, in: Die Welt v. 22. Dezember 2018.

[1] S. zu vorstehenden Informationen http://marktkirche-hannover.de/?page_id=9 (zuletzt aufgerufen am 10. Juli 2019).

 

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