Das Kirchenasyl ist eine Grauzone im Asylrecht. Denn einerseits gelingt es dem Kirchenasyl, rechtsstaatliche Entscheidungen, wie Abschiebungen von Geflüchteten, aufzuschieben. Andererseits wird es in einem definierten Verfahren zwischen Verwaltung und Kirche geregelt. Im Nachhall der Flüchtlingswelle wurde im Jahr 2018 die Überstellungsfrist von 6 auf 18 Monate verlängert. Erst nach anderthalb Jahren Kirchenasyl haben Geflüchtete seither das Recht, hier in Deutschland einen Asylantrag zu beantragen. Auch wegen des resoluteren Vorgehens der Behörden gegen Pfarreien, wie Beschlagnahmungen von Unterlagen oder Zwangsräumungen, kommt es hierzulande immer häufiger zum offenen Streit.
Wie sieht die Lage im Einzelnen aus?
Zurzeit sind 425 aktive Kirchenasyle in Deutschland mit mindestens 675 Personen bekannt, davon sind 143 Kinder. Über 90 Prozent der Kirchenasyle sind sogenannte „Dublin-Fälle“. Die aktuellen Zahlen liefert die ökumenische Bundesarbeitsgemeinschaft „Asyl in der Kirche“ (Stand 05.07.2019). „Dublin-Fälle“ bedeutet, dass die Asylsuchenden nach dem Dublin-Verfahren in das EU-Mitgliedsland abgeschoben werden können, in dem sie erstmals registriert wurden.
Im vergangenen Jahr hat das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bamf) die Verfahrensregeln für das Kirchenasyl deutlich verlängert. Statt der üblichen 6 Monate müssen Gemeinden ihre Schützlinge nun 18 Monate lang beherbergen. Erst dann wird das allgemeine Asylverfahren ganz offiziell vom Erstaufnahmeland nach Deutschland „überstellt“. Da bestimmte Länder, beispielsweise Italien, rigoroser gegen Flüchtlinge vorgehen und abschieben, besteht in Deutschland eine bessere Chance auf ein Bleiberecht. Hier hilft das Kirchenasyl den Härtefällen. Ist die 18monatige Überstellungsfrist durchgestanden, kann der Antrag auf Asyl gestellt werden. Damit ist die Hängepartie für die Geflüchteten aber noch nicht zu Ende, denn über ein tatsächliches Bleiberecht entscheiden die deutschen Behörden.
Worum es geht, zeigen folgende Beispiele:
Ein junger Eritreer ist aktuell in einem Kirchenasyl in einer Frankfurter Gemeinde, da er vor dem Militärdienst in seiner Heimat geflohen ist. Ohne Kirchenasyl würde ihm die Abschiebung in sein Erstaufnahmeland, die Schweiz, drohen. Da diese ihre Asylpraxis gegenüber Eritreern verschärft hat, müsste er von dort in sein Heimatland zurück. In Deutschland hingegen hat er als Wehrpflichtiger aus Eritrea nach Ablauf des Kirchenasyls gute Chancen auf ein dauerhaftes Bleiberecht. Oder: Eine Äthiopierin fürchtete ihre Zwangsverheiratung und Beschneidung. Sie floh aus ihrem Heimatland, kämpfte sich nach Italien durch und von dort weiter nach Deutschland. Eigentlich hätte sie gemäß Dublin-Abkommen wieder in ihr Erstaufnahmeland Italien abgeschoben werden müssen. Aber sie hatte das Glück, in Fürth im Kirchenasyl aufgenommen zu werden. Wegen der verlängerten Überstellungsfrist von 18 Monaten „wanderte“ sie durch die Kirchengemeinden und kann mittlerweile einen Asylantrag in Deutschland stellen.
Das sind die Fälle, in denen alles einvernehmlich lief, doch das ist nicht immer so: Für Aufregung sorgte ein Polizeieinsatz in Ludwigshafen, als die Polizei eine koptische Familie in den Räumen einer Kirchengemeinde festnahm – ein Vorgehen, das von vielen als Tabubruch gesehen wurde und wird.
Selbst Pfarrer geraten in das Visier der Staatsanwaltschaft, weil sie Kirchenasyle gewährten. Ein Landrat im Hunsrück leitete in neun Kirchenasylfällen Strafverfahren gegen mehrere Pfarrer ein. Wie der Evangelische Pressedienst (epd) im Herbst 2018 berichtete, wurde ihnen von der Ermittlungsbehörde Beihilfe zum illegalen Aufenthalt vorgeworfen. Zuvor war der Versuch gescheitert, ein Kirchenasyl – zur Erfüllung des Dublin-Abkommens – räumen zu lassen, um einen Sudanesen nach Italien, seinem Erstaufnahmeland, abzuschieben.
Der Fall bekam große mediale Aufmerksamkeit. Sogar das zuständige Ministerium schaltete sich ein, um die Wogen zu glätten, und erteilte dem Landkreis eine Weisung, auf Zwangsmaßnahmen gegen das Kirchenasyl zu verzichten. Es wurde empfohlen, ein Mediationsverfahren mit den Kirchen einzugehen, um die Lage zu entschärfen. Auf diesen versöhnlichen Vorschlag wollte sich der Landkreis jedoch nicht einlassen, da man das Recht auf seiner Seite sah und eine externe Mediation „nicht erfolgsversprechend“ sei.
Nicht nur Kirchenvertreter sondern auch viele Menschen aus der Bevölkerung kritisierten die Haltung und Vorgehensweise von Landrat und Polizei als „Tabubruch“. Denn das Kirchenasyl gilt einerseits als letzte Bastion für humanitäre Härtefälle und andererseits ist vielen seine Unantastbarkeit auch aus politischen Gründen wichtig. Ein Kommentar am 14. März 2019 über die Geschehnisse im Hunsrück macht dies deutlich: Im Jahr 1989 habe nicht einmal die Stasi es gewagt, die Menschen „aus der Kirche zu zerren“. Nicht zuletzt sei selbst die Wiedervereinigung erst unter dem Schutz der Kirche möglich geworden.
Wodurch werden die Konflikte verschärft?
Viele Jahre bemühten sich Verwaltung und Kirche, jeden Einzelfall möglichst einvernehmlich und ohne großes Aufsehen zu lösen. Jetzt kommt es wegen des Kirchenasyls immer häufiger zu offenen Konflikten. Seit Beginn der Flüchtlingskrise erfährt das Kirchenasyl immer mehr Kritik aus verschiedenen Richtungen, vor allem mit dem Vorwurf, das Kirchenasyl hebele die Rechtsordnung aus. Die Kirchen wiederum kritisieren generell die deutliche Verlängerung der Überstellungsfrist und die zunehmend strikte Praxis der Behörden bei den Dublin-Fällen.
Und in der Tat sehen sich Gemeinden allzu oft nicht mehr in der Lage, Flüchtlingen Kirchenasyl für die Dauer von 18 Monaten zu gewähren. Mit der Verfahrensverschärfung ist die Anzahl der gemeldeten Kirchenasylfälle deutlich zurückgegangen: In der ersten Jahreshälfte von 2018 wurden durchschnittlich 167 Meldungen pro Monat beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bamf) eingereicht. Dann kam die Verlängerung der Überstellungsfrist und es waren nur noch 68 Meldungen je Monat. Für die Verschärfung der Regelung führte das Bamf an, dass sich viele Kirchengemeinden nicht mehr an die Einigung aus dem Jahr 2015 gehalten hätten, innerhalb eines Monats nach Meldung des Kirchenasyls ein Dossier zum jeweiligen Fall vorzulegen. 2018 sei dies bei einem Drittel der Neuzugänge unterlassen worden. Das wirft die Frage auf, ob es sich dabei um abgelehnte Asylbewerber handelte.
Im Gegenzug fällt es vielen Kirchenvertretern schwer, die Ergebnisse von Bamf-Prüfungen zu akzeptieren, wenn sie das Schicksal der Menschen selbst als humanitäre Härtefälle einstufen.
Was ist das Kirchenasyl nun – eine Bastion der Mitmenschlichkeit oder ein Mittel, um den Rechtsstaat zu unterwandern? Beide Überzeugungen treffen mehr denn je aufeinander, womit Missverständnisse und Konflikte beim Kirchenasyl zukünftig weiterhin angesagt sein werden.
Quellen: Swaantje Marten, Kirchenasyl rettet Flüchtlinge, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung v. 27. April 2019; Ökumenische Bundesarbeitsgemeinschaft „Asyl in der Kirche“, https://www.kirchenasyl.de/aktuelles/ (zuletzt aufgerufen am 25.07.2019); https://www.evangelisch.de/inhalte/156274/20-05-2019/ein-kirchenasyl-platz-reicht-nicht-mehr, v. 20. Mai 2019, Pat Christ, Evangelischer Pressedienst – epd (zuletzt aufgerufen am 26.07.2019) und https://www.evangelisch.de/inhalte/152090/04-09-2018/kirchenasyl-strafverfahren-gegen-hunsrueck-pfarrer, v. 4. September 2018, epd (zuletzt aufgerufen am 26.07.2019).
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