Der Ausbau erneuerbarer Energien zieht stets Veränderungen in der Landschaft oder dem Wohnumfeld nach sich. Mangelnde Kommunikation oder sogar falsche Informationen, umstrittene Gutachten oder unzureichende Bürgerbeteiligung können zu Konflikten führen. Beim Ausbau von Solar- oder Windparks sind langwierige Streitigkeiten keine Seltenheit. Es geht nicht vor und nicht zurück? Hier wird Hilfe benötigt, die das Kompetenzzentrum Naturschutz und Energiewende (KNE) in Berlin geben kann.

„Jahrbuch Mediation“ sprach mit Michael Krieger, KNE-Geschäftsführer, und Elisabeth Hartleb, Konfliktberaterin mit Tätigkeitsschwerpunkt in Brandenburg:
Der Ausbau erneuerbarer Energien ist ein erklärtes politisches Ziel. Die praktische Umsetzung vor Ort gestaltet sich jedoch oft schwierig und emotional. Hier setzt das Kompetenzzentrum Naturschutz und Energiewende an. Worin besteht Ihre „Kompetenz“?
Michael Krieger: Unsere Kompetenz besteht darin, dass wir als glaubhafter, neutraler und unabhängiger Vermittler zwischen Naturschutz und Energiewende auftreten. Uns geht es nicht um die Durchsetzung der einen oder der anderen Interessen.
Uns geht es darum, einen Raum zu schaffen, in dem alle Beteiligten gemeinsam an Lösungen arbeiten können.

Das Kompetenzzentrum Naturschutz und Energiewende hat einen Mediatorenpool aufgebaut. Welche Inhalte wurden in den Fortbildungen an die Teilnehmenden vermittelt?
Elisabeth Hartleb: Den Mediatorinnen und Mediatoren wurde fundiertes Wissen über das Spannungsfeld von Naturschutz und Energiewende vermittelt. Schwerpunkte lagen dabei auf den Besonderheiten des Artenschutzes, typischen Konfliktlinien bei Planung und Genehmigung von Projekten zur Nutzung erneuerbarer Energien. Intensiv trainiert wurde auch der methodische Umgang mit häufig auftretenden Akteurskonstellationen vor Ort.

Wie sehen typische „Akteurskonstellationen“ aus?
Elisabeth Hartleb: Typisch ist das Aufeinandertreffen von professionellen und zivilgesellschaftlichen Akteuren. In unseren Beratungsfällen arbeiten wir mit Behörden, Vertretern der Politik, Projektentwicklern, dem Naturschutz und natürlich auch betroffenen Anwohnenden zusammen. Jeder dieser Akteure denkt in anderen Zusammenhängen. Diese sehr unterschiedlichen Menschen auf eine Ebene zu bringen, auf der sie miteinander auf Augenhöhe sprechen und einander verstehen können, ist für die Konfliktlösung sehr wichtig.

(Portraitfotos: Michael Krieger und Elisabeth Hartleb/ Kompetenzzentrum Naturschutz und Energiewende).

Zu welchen Themen gab es lebhafte Diskussionen?
Elisabeth Hartleb: Einer der Schwerpunkte in diesem hochpolitischen Feld war die Frage der eigenen Haltung. Wie kann die Allparteilichkeit gewahrt werden, auch wenn vehemente Gegner beteiligt sind, die teilweise sehr laut argumentieren? Und wie auch in anderen Feldern der Mediation war das Thema emphatische Neugier sehr wichtig: Was bewegt die einzelnen Akteure? Wo genau liegen deren Interessen? Wo bestehen vielleicht Konflikte hinter den Konflikten? Es wurde intensiv darüber diskutiert, was es für langjährig engagierte Naturschützer bedeuten kann, wenn in ihrer unmittelbaren Umgebung ein Windpark geplant wird. Welche Erfahrungen wurden in der Vergangenheit mit anderen Infrastrukturvorhaben gemacht? Wir haben außerdem besprochen, wie sich bei diesen mediativen Prozessen mit großen Gruppen auch hocherhitzte Gemüter wieder in einen sachlichen Diskurs einbinden lassen.

Brandenburg ist bei Moderationen und Mediationen sehr aktiv. Warum unterscheiden sich die Bundesländer so stark?
Michael Krieger: Die im Land Brandenburg entstehenden Konflikte sollten besser bearbeitet werden als bisher. Deswegen wurde im Landtag der Einrichtung einer Servicestelle zugestimmt. Daraufhin ist das Wirtschaftsministerium in Potsdam an uns herangetreten, um mit uns auszuloten, ob man an dieser Stelle zusammenarbeiten könne. Es wurde eine Kooperation geschlossen. Ein sehr fortschrittlicher Teil davon war auch, einen kleinen Fonds für die Anfangsfinanzierung von Moderationen und Mediationen aufzulegen.

Ein Windpark-Projektierer stieß auf Widerstand. Die KNE-Konfliktberaterin Elisabeth Hartleb unterstützte gemeinsam mit einer  Mediatorin die Konfliktlösung vor Ort (Foto: Windrad/ Pixabay).

Es geht nicht vor und nicht zurück: Können Sie ein interessantes Praxisbeispiel zur Konfliktarbeit vor Ort beschreiben?
Elisabeth Hartleb: In einem Beratungsfall hatte uns der Projektierer eines größeren Windparks, der im Wald errichtet werden sollte, angefragt. Unter den Anwohnenden entwickelte sich u.a. wegen der Sorge um geschützte Tiere immer stärkerer Widerstand. Dies führte wiederum zu großer Unsicherheit im Gemeinderat. Der Projektierer musste daher befürchten, dass die Gemeinde ihr Einvernehmen zu dem Windpark nicht erteilen würde. Versagt eine Gemeinde im Genehmigungsverfahren jedoch ihr Einvernehmen, obwohl nach Gesetz ein Anspruch auf die Genehmigung besteht, muss das Einvernehmen in einem weiteren zeitraubenden Verfahrensschritt ersetzt werden. Für die Akzeptanz vor Ort ist so ein Verfahren natürlich nicht förderlich. Der Projektierer hatte aber das dringende Anliegen, das Projekt weitestgehend einvernehmlich umzusetzen.
Die Anwohnenden hatten in Zeiten großer Trockenheit die Angst, dass durch die technischen Anlagen ein Waldbrand ausgelöst werden könnte. Außerdem gibt es in der Umgebung ein streng geschütztes Seeadlerpaar, das sie weiterhin behütet wissen wollten. Einige hatten ein sehr umfassendes Wissen über die örtliche Fauna und insbesondere über das Verhalten des Seeadlerpaars. Wir erleben in unseren Fällen gelegentlich, dass Sorgen um geschützte Tiere nur vorgeschoben werden, um Windenergieprojekte zu verhindern, die aber eigentlich aus privaten Interessen nicht gewollt werden. Ein solcher Fall lag hier offensichtlich nicht vor.
Die Kommunikation zwischen der Gemeinde, den Anwohnenden und dem Projektierer hatte bereits eine mittlere Eskalationsstufe erreicht, bis sie dann zunächst abgebrochen war. Hier galt es, die Akteure überhaupt einmal zusammen zu bringen. Wir haben gemeinsam mit dem Projektierer ein Konzept für eine Informationsveranstaltung entworfen, in dem Naturschützer, Anwohner und andere Interessierte die Möglichkeit haben würden, sich über das Projekt zu informieren, direkte Fragen zu stellen und ihre Befürchtungen und Interessen mitzuteilen.

Waren Konfliktberater und Mediatoren beteiligt?
Elisabeth Hartleb: Die Veranstaltung wurde von einer unserer Mediatorinnen aus dem Mediatorenpool und mir moderiert. Wir haben dabei sichergestellt, dass alle angesprochenen Themen parallel auf einer Moderationswand festgehalten wurden. Eine Schwierigkeit liegt in solchen Konstellationen immer darin, den Rahmen der Gespräche abzustecken: Bei abgeschlossener Regionalplanung erübrigen sich Diskussionen darüber, ob ein Windpark tatsächlich gebaut werden soll oder nicht. Es geht vielmehr nur noch um die Ausgestaltung des Projekts. Grundsatzdiskussionen zu Sinn und Naturverträglichkeit der Energiewende sind daher nicht zielführend. Um den Zweck der Veranstaltung nicht zu gefährden, musste also auch hier konsequent darauf geachtet werden, dass die Gespräche sich auf der Ebene des konkreten Projekts bewegten.
Der Effekt war, dass die Teilnehmenden merkten, dass ihre Anliegen ernst genommen wurden und nicht im luftleeren Raum verschwanden. Trotz der thematischen Begrenzung wurden auch sehr aufgeregte Personen sichtlich ruhiger und ließen sich auf sachliche Diskussionen ein. In einer Folgeveranstaltung hatte der Projektierer einen unabhängigen Sachverständigen eingeladen, der die Fragen zum Schutz des Adlerpaares klären und die Befürchtungen der Anwohnenden ausräumen konnte, ein wichtiger Schritt zur Konfliktlösung. Schließlich wurde gemeinsam mit dem Projektierer eine Arbeitsgruppe zur Erarbeitung möglicher sogenannter „Ausgleichs- und Ersatzmaßnahmen“ für den Eingriff in die Natur gegründet, in der sich auch vehemente Gegner konstruktiv einbrachten. Die unter den Anwohnenden eingekehrte Ruhe spiegelte sich auch darin wider, dass der Gemeinderat schließlich sein Einvernehmen zum Projekt erteilte.

Das Konzept der Konfliktarbeit vor Ort ändert sich beim KNE gerade. Was sind die Hintergründe?
Michael Krieger: Die Bundesländer haben in den letzten Jahren vermehrt eigene Strukturen geschaffen, um selbst Konflikte vor Ort zu bearbeiten. Dieser Entwicklung tragen wir Rechnung und ziehen uns mit unserer eigenen Arbeit auf eine höhere Ebene zurück. So wollen wir zukünftig die Landeseinrichtungen bei ihrer Arbeit verstärkt unterstützen. Außerdem arbeiten wir zukünftig stärker an der Vermeidung von Naturschutzkonflikten.

Herzlichen Dank für das Gespräch, Irene Seidel (Jahrbuch Mediation).

So sehen Rechtsform und Finanzierung aus: Das Kompetenzzentrum Naturschutz und Energiewende (KNE) wurde 2016 in Berlin eröffnet. Es arbeitet in der Rechtsform einer gemeinnützigen GmbH in der Trägerschaft der Umweltstiftung Michael Otto (Hamburg) und im Auftrag des Bundesministeriums für Umwelt, Naturschutz und nukleare Sicherheit.

Weitere Informationen:
Kompetenzzentrum Naturschutz und Energiewende (KNE) in Berlin: www.naturschutz-energiewende.de.