Das rassistisch motivierte Attentat in Hanau (Hessen) jährt sich! Bei dem Anschlag am 19. Februar 2020 erschoss Tobias R. neun Menschen mit Migrationshintergrund und anschließend seine Mutter und sich selbst. Mediator Robert Erkan war u.a. als Mitglied des Ausländerbeirats der Stadt Hanau rasch vor Ort. Nur 36 Stunden nach der Tat wurde er von der Stadt Hanau zur Koordinierung der Opferberatungsstelle berufen. Er und ein Team kümmerten sich fortan empathisch und engagiert um die Familien der Opfer. Dieses besondere Engagement zeichnete der Bundesverband Mediation e.V. (Berlin) mit dem Ehrenpreis aus.
Zum Jahrestag am 19. Februar 2021 findet in Hanau eine zentrale Gedenkfeier statt!
Rasches und sensibles Handeln war gefragt
Ziel des Attentäters waren drei Bars in Hanau, wo sich die dramatischen Ereignisse abspielten und neun Menschen sterben mussten. Besonders tragisch war, dass eine Fluchttür vermeintlich verschlossen und der polizeiliche Notruf in der Tatnacht nur schwer zu erreichen war.
Der Vater von Vili Viorel Păun bekam Wochen später das Smartphone seines getöteten Sohnes ausgehändigt, auf dem die vergeblichen Notrufe registriert waren, erzählt Robert Erkan gegenüber „Jahrbuch Mediation online“ mit großer Betroffenheit.

Mediator Robert Erkan (Hanau)
Im weiteren Gespräch schildert der Mediator, wie er die Familien und Betroffene als Opferberater und Leiter der Koordinierungsstelle über Monate durch viele schwierige Situationen begleitete. Er und das Krisenteam organisierten Familienzusammenkünfte, kümmerten sich um die Angehörigen mit ihren unterschiedlichen kulturellen Bedürfnissen, koordinierten innerhalb weniger Tage neun Beerdigungen sowie die zentrale Trauerfeier Anfang März 2020, kurz vor dem ersten „Lockdown“. Denn die meisten Todesopfer waren Muslime, denen traditionell eine schnelle Beerdigung am Herzen liegt.
Trauermärsche durch Hanau und Totengebete auf dem Marktplatz, an denen Tausende von Menschen teilnahmen, galt es ebenso zu organisieren wie unzählige Behördengänge und Antragstellungen. Ohne Zweifel war strukturiertes und zugleich sensibles Handeln gefragt, ein Wirken ohne Blaupause.
Robert Erkan hat die Trauer der Betroffenen auf sehr persönlicher Ebene berührt. Denn auch sein Lebensweg ist interkulturell, geprägt vom muslimischen Vater und der christlichen Mutter. Die verschiedenen Glaubensrichtungen verbindet er im besten Sinne miteinander, womit er bei den muslimischen Opferfamilien als verständiger Vermittler zu den Behörden sowie Institutionen eine „natürliche“ Anerkennung hatte.
Zukunftsperspektive: angstfreies und selbstbestimmtes Leben
Darüber hinaus betont Robert Erkan, dass gerade auch seine Mediationsausbildung ihn befähigt habe, den Herausforderungen gerecht zu werden. „Ich bin in meiner Haltung als Mediator in neue Situationen hineingegangen, habe Perspektivwechsel angeregt und immer wieder versucht, empathisch in alle Richtungen zu vermitteln.“ Für ihn trage das humanistische Menschenbild mit seinem empathischen und wertschätzenden Umgang „die Lösung in sich“. Er hoffe, dass er einen Heilungsprozess anstoßen konnte, dass den Betroffenen zukünftig irgendwann ein angstfreies und selbstbestimmtes Leben ermöglichen werde.
Um diese Ziele zu erreichen, sind für Robert Erkan drei Aspekte bedeutsam:
- eine Opferunterstützung mit nachhaltigen psychotherapeutischen und finanziellen Hilfen,
- Pflege der Erinnerungskultur und Mahngedenken,
- Etablierung nachhaltiger Strukturen in Hanau, beispielsweise das „Zentrum für Demokratie und Vielfalt“ unter dem Dach der neuen Fachstelle „Vielfalt“.
Einiges ist auf den Weg gebracht, aber ein Jahr nach dem Attentat sind noch viele Fragen unbeantwortet: Warum wurde dem behördenbekannten und straffälligen Tobias R. die Erlaubnis zum Waffenbesitz erteilt? Warum hat der Polizeinotruf in der Tatnacht nicht richtig funktioniert bzw. was wurde getan, um die Situation zu verbessern? Welchen Einfluss hatte die rassistische Gesinnung des Täter-Vaters auf seinen Sohn und warum wird der Vater nicht als Beschuldigter angeklagt?
„Lückenlose Aufklärung und Transparenz sind wichtig, damit die Betroffenen die Trauerarbeit bewältigen und loslassen können“, mahnt Mediator Erkan. Und: Zu einem selbstbestimmtes Leben gehörten, neben einmaligen Soforthilfen und Opferentschädigungen, auch laufende Zahlungen. „Ganze Lebensbiographien haben sich durch den Anschlag verändert, vor allem die Kinder sind betroffen.“ Regelmäßige finanzielle Unterstützung könnten die Nachteile der Hinterbliebenen-Kinder auf Schul- und Berufsabschluss zumindest in Ansätzen ausgleichen.
Zur Person: Robert Erkan, Mediator BM, Kommunikationstrainer, Ausländerbeirat und Stadtverordneter der Stadt Hanau.
Ehrenpreis des Bundesverbandes Mediation
Robert Erkan erhielt 2020 den Ehrenpreis des Bundesverbandes Mediation e.V. für seinen Einsatz in Hanau, der „weit über das normal erwartbare Unterstützungsangebot“ hinausgegangen sei, betont Alexandra Bielecke, 1. Vorsitzende des BM auf Nachfrage.
Quelle: Fachzeitschrift „Spektrum der Mediation“ vom Juni 2020: Zuhören – Dasein – Machen, Ausgabe 80/ 2020; Tagesschau-Sendung vom 13.02.2021, Gedenken an Hanau: Merkel ruft zu Kampf gegen Rassismus auf | tagesschau.de (aufgerufen am 14.02.2021).
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