Die Konflikt-Hotline des Bundesverbandes Mediation ging im April 2020 an den Start. Seither konnte der Notruf vielen Ratsuchenden in Konfliktsituationen helfen. Wiebke Heider ist Konfliktberaterin der ersten Stunde und koordiniert die zahlreichen Mediatorinnen und Mediatoren, die ehrenamtlich die Hotline betreuen. Die Konflikt-Hotline 0800 247 3676 ist kostenfrei von 8 bis 20 Uhr erreichbar.
Wurde die Konflikt-Hotline 2020 wegen der Pandemie eingerichtet?
Heider: Die Pandemie war letztlich der Auslöser, aber wir hatten schon lange die Idee, einen Konfliktnotruf einzurichten. Als vergangenes Frühjahr Homeschooling und Homeoffice zuhause auf kleinstem Raum – mit all den Konflikten – angesagt war, wussten wir, dass der Zeitpunkt für die Projektumsetzung gekommen war.
Dabei war Organisationstalent gefragt?
Heider: Ja, aber wir waren in der glücklichen Lage, dass der Bundesverband Mediation engagierte Mitglieder hat. Viele Mediatorinnen und Mediatoren haben sich für die ehrenamtliche Aufgabe gemeldet. Jeder Termin, wir sagen Slot, ist von 8 bis 20 Uhr zuverlässig abgedeckt. Wir haben über 90 Slots pro Monat und bisher keinen einzigen ausfallen lassen, auch nicht an Heiligabend.
Foto: Wiebke Heider ist im Vorstand des Bundesverbandes Mediation e.V. und für die Konflikt-Hotline verantwortlich.
Über 90 Slots, wie werden diese organisiert?
Heider: Das mache ich. Es gehört beispielsweise zu meiner abendlichen Routine, um 20 Uhr zu programmieren, auf welche Telefonnummern die Konflikt-Hotline für den nächsten Tag weitergeleitet wird.
Welcher Anrufer, der sich kürzlich via Hotline bei Ihnen gemeldet hat, war ungewöhnlich?
Heider: Kürzlich hat ein Vater angerufen, der einen Konflikt mit seiner Tochter hat. Sie hatte am nächsten Tag Geburtstag, wollte aber nicht mit ihm sprechen. Ich habe ihm empfohlen, einen Brief zu schreiben, formuliert in Ich-Botschaften.
Jetzt kommt das Erstaunliche, denn der Vater erklärte mir, dass er beruflich schon an Fortbildungen zur Gewaltfreien Kommunikation teilgenommen habe. Was im Arbeitsleben anscheinend funktioniert, war in Bezug auf seine Tochter wie ausgelöscht. Als ihm seine Hilflosigkeit bewusst wurde, hat er geweint. Ich hoffe, er hat im Brief die richtigen Worte für seine Tochter gefunden.
Sie verfolgen die Konfliktfälle nicht nach?
Heider: Nein, in der Regel nicht. Die Hotline hilft im Notfall, der durchaus dramatisch sein kann. Einer Kollegin ist ein extremer Fall passiert, um ein weiteres Beispiel eines Hotline-Gesprächs zu erzählen: Bei ihr rief ein Mann an, der kaum zu verstehen war. Bis sich herausstellte, dass er Australier ist und in Deutschland lebt. Er hatte eine Überdosis eingenommen und dann doch Angst bekommen, möglicherweise sterben zu müssen.
Für meine Kollegin war die Situation in verschiedener Hinsicht extrem: Einerseits ist der australische Akzent schwierig zu verstehen und andererseits ging es möglicherweise um Tod oder Leben. Ob der Australier die Überdosis überstanden hat, weiß meine Kollegin bis heute nicht.
Die Anforderungen sind ziemlich hoch!
Heider: Ja, in diesem Fall extrem hoch. Da ist es gut, dass wir eine Begleitung haben. Unser Hotline-Team kann den Anforderungen Stand halten. Es sind ausschließlich erfahrene Leute im Einsatz und wir legen auf eine 200-Stunden-Mediationsausbildung wert. Als Bundesverband Mediation sind wir der Qualität verpflichtet.
Die Hotline ist somit kein Betätigungsfeld für Newcomer?
Heider: Mediationskompetenz und langjährige Erfahrung sind unerlässlich. Ein Supervisor der Telefon-Seelsorge betreut das Team. Er hat jahrelang selbst eine Telefonseelsorge geleitet und hilft uns bei den monatlichen Treffen in allen Belangen mit seiner Expertise. Für die Hotline-Kräfte geht es in den Sitzungen darum, sich zu vergewissern, ob sie sich im jeweiligen Konfliktfall angemessen verhalten und gut beraten haben.
Ebenfalls sehr hilfreich sind die Tipps, an welche Stellen man manche Anrufende zu einer passgenaueren Beratung verweisen kann. Wir sind ja die Spezialist*innen für den Umgang mit Konflikten.
Bei der Hotline steht der Krisenfall und nicht die Mediation im Fokus?
Heider: Ja, so ist es. Wir verkaufen keine Mediationen. Es geht um Konfliktberatung in Krisensituationen.
Wir haben einmal eine Ausnahme für ein Paar mit zwei Kindern gemacht, die sich in einer Ein-Zimmer-Wohnung im Pandemie-Lockdown befanden. Als sie sich meldeten, war der Konflikt hocheskaliert. Gewaltandrohungen standen im Raum. Unserer Konfliktberaterin wurde schnell klar, dass die Familie dringend zusätzliche Hilfe braucht.
Innerhalb einer Stunde organisierte ich ein Mediatorenteam, das die Notsituation vor Ort übernahm. Was nicht einfach war, denn die Eltern hatten unterschiedliche kulturelle Wurzeln, die auch ursächlich für den Konflikt waren. Das Team musste gemischt-geschlechtlich sein, um die Sprache und die Werte gut verstehen und dazwischen vermitteln zu können. Innerhalb von drei Tagen fand die Mediation statt und die Konfliktpartner*innen haben eine gute und tragfähige Lösung gefunden.
Erreichen Sie auch Konflikte aus dem beruflichen Umfeld?
Heider: Ja, rund ein Viertel der Anfragen kommt aus dem beruflichen Umfeld. Bei Arbeitsplatzkonflikten wird das Telefon schon mal an die betroffenen Kollegen durchgereicht. Im direkten Gespräch mit dem Konfliktberater, gelingt es, einen Perspektivwechsel aufzuzeigen. Erst so erkennen viele selbst, welchen Anteil sie am Konflikt haben und wo die Lösung liegen kann.
Wie entwickeln sich die Hotline-Anfragen?
Heider: Die Anfragen sind deutlich mehr geworden, wie in einem Schneeballsystem: Das Justizministerium leitete unsere Hotline-Infos an Beratungsstellen und Polizei weiter, BM-Mitglieder an ihre Personalabteilungen, darunter auch Konzerne, oder ein kürzlich erschienener WAZ-Beitrag hat die Hotline-Anrufe stark ansteigen lassen.
Die angestrebten Ziele haben sich somit erfüllt?
Heider: Wir haben unsere Ziele definitiv erreicht. Wir sind bei Konflikten eine Ansprechstelle, die zuverlässig da ist, wenn jemand Hilfe braucht, und den Anrufern mögliche Wege aus ihren Konflikten aufzeigt.
Zur Person: Wiebke Heider ist im Vorstand BMeV, Mediatorin BM ®, Mediatorin Naturschutz/Energiewende des KNE, Moderatorin für Systemisches Konsensieren und Dipl.-Betriebswirtin (FH).
Weitere Informationen: Bundesverband Mediation e.V. – Konflikt-Hotline 0800 247 3676.
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