Einwanderung und Integration bleiben trotz Corona-Pandemie gesellschaftliche Themen, die viele Kommunen herausfordern. Ein vielversprechendes Konzept stellt das Modellprojekt „Mediation fördert Integration“ des Vereins Mediation Rhein-Ruhr e.V. dar, dessen Abschlussbericht vorliegt.
Das staatlich geförderte Projekt (BAMF) lief über drei Jahre und hatte zum Ziel, zugewanderten Menschen Konfliktkompetenzen zu vermitteln. Neben den Mediationen mit Dolmetscherunterstützung wurden Workshops in Wohneinrichtungen, ein Notruftelefon und Schulprojekte durchgeführt. Das Integrationsprojekt fand in ausgewählten Großstädten des Ruhrgebiets statt.
Was hat sich bei „Mediation fördert Integration“ bewährt, was nicht? Antworten gibt Projektleiterin Monique Ridder. Das praxiserprobte Konzept könnte Vorbild für ein „Systemdesign“ sein, das Kommunen bei der Integration von Zuwanderern unterstützt.

Mediation fördert Integration – worin liegen die Herausforderungen?
Ridder: Die Herausforderungen bestehen einerseits in der aufnehmenden Gesellschaft und andererseits in den Menschen aus anderen Kulturkreisen und ihre unterschiedliche Art der Konfliktbearbeitung. Was kommt Neues auf sie zu? Was bringen die Zuwanderer aus ihren Heimatländern mit?
Unser Projekt hatte das Ziel, die jeweiligen Konfliktlösungskompetenzen anzuschauen und Tools an die Hand zu geben, mit denen eine friedliche Konfliktbearbeitung möglich wird.

Wo liegen die Unterschiede?
Ridder: In der Sozialisierung! Wenn der Stärkere oder derjenige, der das Messer benutzt, im Streitfall „gewinnt“, ist das in Deutschland keine Lösung. Der Konflikt ist nicht gewonnen, sondern Messerattacken werden bei uns bestraft. Genau hier setzt das Projekt an, denn ich als Mediatorin gehe wertfrei damit um und schaue zuerst die vorhandenen Konfliktkompetenzen an. In unseren Workshops und in den Schulklassen durfte jeder über die eigene Kultur erzählen und wie miteinander umgegangen wird. Welche Unterschiede gibt es zum Heimatland und hierzulande in der aufnehmenden Gesellschaft? So setzt gegenseitiges Verstehen ein.


Foto: „Mediation fördert Integration“, Projektleiterin Monique Ridder (KoViAk- Akademie für Konflikt- und Führungskompetenz)

Welche Module haben Sie angeboten?
Ridder: Das Pilotprojekt hat neben der Durchführung von Mediationen weitere Säulen, wobei sich das Schulprojekt und die Workshops als besonders tragfähig erwiesen. Der Konfliktnotruf wurde nicht gut angenommen, wahrscheinlich waren die Sprachbarrieren zu hoch. Mediationen wurden häufig durch das Umfeld oder ehrenamtliche Betreuerinnen und Betreuer initiiert.

Wie sind die Workshops verlaufen?
Ridder: Mit den Frauen gut. In den Wohneinrichtungen, die wir einmal pro Woche besuchten, stammten sie überwiegend aus Afrika und Syrien. Die Frauen haben zugehört und verstehen wollen. Anfangs ist es nicht immer friedlich abgelaufen, aber am Ende entstand eine vertraute Runde, die sich gemeinsam Konfliktlösungskompetenzen erarbeitet hat. Für die Frauen war es wichtig, Sicherheit zu gewinnen, nicht nur in der Zuwanderereinrichtung sondern auch im Kindergarten, der Schule oder Nachbarschaft – ihr Interesse an Integration konnten wir im Workshop massiv fördern!

Frauen sind ein wichtiger Schlüssel zur Integration. Warum war es mit Männern schwieriger?
Ridder: Die Männer waren häufig unpünktlich und nahmen unregelmäßig teil. Sie wollten, dass wir Formulare für sie ausfüllen oder Dokumente weiterleiten. Wir ließen uns nicht instrumentalisieren – so sind die Männer irgendwann nicht mehr wiedergekommen.

Welche Probleme beschäftigten die Frauen?
Ridder: Anfangs ging es vor allem um das Zusammenleben in den Wohneinrichtungen. Wenn beispielsweise die Wäsche eine Woche hängen blieb, ärgerten sich andere Frauen darüber. Solche Konflikte wurden in Mediationen vor Ort geklärt. Oder zwei Frauen stritten sich, weil die eine schlecht über das Kind der anderen gesprochen haben soll. Wie die Dolmetscherin aufklären konnte, gab es schon eine Ohrfeige. Bevor eine Rauferei entstanden wäre, haben wir eine Stand-Up-Mediation gemacht. Eine frühzeitige Klärung lässt solche Situationen erst gar nicht entstehen. Im Laufe des Workshops konnten wir die Tools zur Selbsthilfe vermitteln.

Wie sahen schwerwiegende Problemfelder aus?
Ridder: Eine Frau hatte die Vorstellung, dass der deutsche Staat, ihnen ein Haus zur Verfügung stellen würde. Aufgrund ihrer Nachfragen verließ ihr Mann im Streit die Wohneinrichtung. Die Frau blieb mit großen Ängsten zurück, denn in ihrem Kulturkreis dürfen sich Frauen nicht um bestimmte Dinge kümmern. Nach Tagen war der Ehemann wieder da.
Oder: Eine Frau hatte sich mit partnerschaftlichen Problemen geöffnet und eine andere Teilnehmerin es danach weitererzählt, obwohl Stillschweigen vereinbart war. Danach blieb die Frau mit den Partnerproblemen dem Workshop dauerhaft fern.
Bei Traumatisierungen haben wir Vier-Augen-Gespräche angeboten und an Mitarbeiter in den Zuwanderungseinrichtungen weitervermittelt, für Nothilfe und therapeutische Unterstützung.

Wie wurden Konfliktlösungskompetenzen vermittelt?
Ridder: In der zweiten Sekundarstufe und in den Abgangsklassen der Berufsschulen haben wir an ganz praktischen Beispielen die Unterscheidung von Positionen, Forderungen, Interessen und Bedürfnissen sowie der einhergehenden Gefühle geübt. „Wir wollen uns unsere Kultur nicht nehmen lassen und schützen sie!“ waren Aussagen in diesen Workshops, die von vielen Seiten sichtbar werden konnten. Dass auch die aufnehmende Gesellschaft ein solches Interesse verfolgt, lag für sie nahe und so arbeitete man an Möglichkeiten, wie ein Miteinander gelingen kann.
In dem Workshop für Erwachsene haben wir ebenfalls viele Kommunikationsübungen gemacht. Dabei bekamen die Damen in Rollenspielen Formulierungen an die Hand, wie sie am besten Konflikte ansprechen und klären können. Wir konnten besonders über integrierende Angebote motivieren, auf die sie und ihre Kinder selbst neugierig waren, beispielsweise im Kindergarten, um mit Erzieherinnen ins Gespräch zu kommen oder der Nachbarin.
Am Ende entstanden feste Frauengruppen in friedlichem Miteinander. Auch bei dem Schulprojekt war die Verbesserung des Klassenklimas und der Lernatmosphäre ein wichtiger Erfolg, der nachhaltig angehalten hat!

Das Gespräch führte Irene Seidel.

Weitere Informationen:
Abschlussbericht „Mediation fördert Integration“