Seit Beginn der Coronapandemie im Frühjahr 2020 hat die Online Mediation stark an Bedeutung gewonnen. Jahrbuch Mediation berichtete u.a. Ende April 2021 in dem Beitrag „Harvard Law School: Fallstricke der Online Mediation und wie man ihnen begegnet – Prof. Noam Ebner“ zu diesem Thema. Die Mediatoren Antje Torlage und Martin Wode besprechen die Vor- und Nachteile der Online Mediation aufgrund ihrer Erfahrungen.

Ist Online Mediation dabei, analoge Sitzungen zunehmend abzulösen?
Torlage: Vor wenigen Jahren wurde die Mediation online, wie in dem Artikel zur „Harvard Law School: Fallstricke der Online Mediation und wie man ihnen begegnet – Prof. Noam Ebner“ ausgeführt wurde, oft kritisiert. Der Kritik lag zugrunde, dass die zwischenmenschlichen Komponenten fehlen und nicht durch eine Kameraführung aufgenommen werden können. Prof. Ebner hat demgegenüber weitreichende Empfehlungen für die Online Mediation ausgesprochen.
Aktuelle Fortbildungen zu diesem Thema zeigen in der Praxis, wie differenziert wir diesem Thema begegnen sollten und auch können.

 Foto: Antje Torlage (Rechtsanwältin und Mediatorin)

Wode: Aus unserer Sicht ist es weniger eine Ablösung, mehr eine gute Ergänzung. Betrachten wir die Vorteile einer Online Mediation. Wie Nachfragen unter Praktiker*innen (Stand 12. März 2021 seitens Bundesverband unabhängiger Mediatoren e. V. in Zusammenarbeit mit Legaxa GmbH) bundesweit aufgezeigt haben, liegen sie insbesondere darin, dass
– eine Mediation ohne Grenzen überörtlich möglich ist,
– flexibler ist; z. B. lassen sich Termine auch bei größeren Distanzen einfacher finden,
– Fachpersonal oder weitere Dritte, selbst Kinder, zugeschaltet werden können.

 Foto: Martin Wode (Rechtsanwalt und Mediator)

Wofür kann das wichtig sein?
Wode: Diese Erfahrungen aus der Praxis zeigen, dass die Online Mediation eine gute Ergänzung zur Präsenzmediation darstellt, zunächst einmal bei niederschwelligen Konflikten. Die Gespräche sind fokussierter und können zügiger eingerichtet wie auch erweitert werden.
Aber selbst bei höher eskalierten Fällen ist die Bereitschaft durch die getrennten „digitalen Räume“ größer, sich auf eine Mediation einzulassen, da keine gleichzeitige persönliche Anwesenheit erforderlich ist. Die non- und paraverbalen Aspekte, die den Konflikt antriggern könnten, werden digital gefiltert.
Das Aggressionspotential fällt in Online-Schaltungen erfahrungsgemäß deutlich geringer aus. Im Idealfall werden die Vorteile der Präsenzmediation um die einer Shuttle-Mediation erweitern. Und mit Blick auf z. B. die Faktoren „Zeit“ und „Kosten“ sind diese in der Regel geringer, wenn die Reisezeiten und -kosten entfallen.

Das klingt viel versprechend. Gleichwohl, was für Nachteile können in der Online Mediation Ihrer Erfahrung nach bestehen?
Torlage: Ein wesentlicher Nachteil ergibt sich weniger aus der Methode, sondern vielmehr aus der technischen Umsetzung einer Online Mediation: In der Mediation ist ein gutes Setting eine grundlegende Einstiegsvoraussetzung, die online durch technische Unsicherheiten und Geräteanforderungen erschwert wird.
Mentale Abwesenheit durch die fehlende körperliche Präsenz wird zwar auch als Nachteil genannt, jedoch zeigen unsere Erfahrungen, dass sich auch in einer Präsenzmediation die Teilnehmenden ihre Auszeiten nehmen, wenn nicht rechtzeitig Pausen eingeräumt werden. Ein gutes Setting als Mediator herzustellen, kann für eine Online-Schaltung entsprechend mehr Zeit in der Vorbereitung erfordern.
Wode: Hinzukommt die fehlende körperliche Präsenz und ihre Folgen. Neben den bereits angesprochenen Faktoren zum Verständnis der Kommunikation können Abläufe durch die digitale Form, selbst bei einer guten Schaltung, schwer verständlich oder sichtbar sein.
Die Körpersprache ist reduziert auf Bildausschnitte. Als Beispiel aus einer Videoschaltung wurde dazu genannt, dass ein Zusammenbruch mit Weinkrampf und Abtauchen aus dem Bildausschnitt von der anderen Konfliktpartei als „hämisches Lachen“ interpretiert wurde. Stimmungen und Signale werden nicht persönlich erlebt. Blickkontakt aufzunehmen, ist schwieriger. Dies gilt es, auch methodisch, aufzugreifen, um Missverständnisse zu vermeiden.

Was empfehlen Sie?
Torlage: Digitale Kompetenz kann nicht einfach so vorausgesetzt werden. Im Umkehrschluss kann nicht erwartet werden, dass eventuell vorhandene Defizite im technisch-digitalen Verständnis von allen Beteiligten aufgezeigt oder auch fehlende technische Möglichkeiten angesprochen werden, um nicht als inkompetent dazustehen.
Zudem ist der Datenschutz derartiger Online-Schaltungen gesondert zu beachten. Bestimmte Methodiken der Präsenzmediation können nicht oder nur bedingt digital angewendet und durchgeführt werden, auch wenn sich vieles adaptieren lässt.
Wode: Empfehlenswert ist es, sich für die Vorbereitung ausreichend Zeit zu nehmen. Prof. Ebner rät, sich am Beginn ausreichend Zeit zu nehmen, so dass die Teilnehmenden die Online-Möglichkeiten trotz aller Skepsis für sich sicher annehmen können.
Erfahrungsgemäß bedeutet dies auch, aufzupassen, ob ein neuer Konflikt im Konflikt zu mediieren wäre, sei es wegen der Mediationsform, sei es zum Verständnis. Auch sind Zeiten für Technik-Pannen einzuplanen. Da Gedanken und Gefühle weitaus weniger als über die Körpersprache erkennbar sind, ist es umso bedeutender, dies klar durch Worte, gesagt bzw. geschrieben, auszudrücken. Dies kann m. E. auch eine Chance sein.

Klare Wortwahl als Chance?
Wode: In der Präsenzmediation fließen Mimik und Körpersprache oft so stark ein, dass sie kommunikative Abläufe zu beschleunigen scheinen. Das kann, gedeutet über die Zusammenhänge des Ablaufs, missverständlich sein. Derart automatisierte Zuschreibungen unter Anwesenden werden im Online-Ablauf vermieden, indem mögliche unklare Aussagen sofort angesprochen und geklärt werden.
Wenn es zudem gelingt, die digitale Distanz aufzulösen, so dass die Medianden jeweils den Eindruck haben, ihre persönliche Beziehung zu klären, gelingt auch die Konfliktbeilegung online.
Torlage: Insofern haben wir den Eindruck, dass die Online Mediation bei aller berechtigten Kritik nicht nur eine coronabedingte Notlösung ist. Vielmehr fordert es uns Mediierende, etwaige Automatismen und bisherige Hypothesen im persönlichen Miteinander konflikt- und parteibezogen zu hinterfragen.
Die Online Mediation erweitert daher die bisherigen Möglichkeiten der Präsenzmediation und der Konfliktschlichtung digital, unabhängig von Ort und Zeit.

Die Experten Online Mediation:
Antje Torlage, Rechtsanwältin, Mediatorin BuM, Supervisorin, Lehrbeauftragte an der Hochschule Hannover (HsH) und Kommunalen Hochschule für Verwaltung in Niedersachsen, Referentin für weitere Bildungseinrichtungen u. a. die Legaxa® GmbH;
Martin Wode, Rechtsanwalt, Fachanwalt für Miet- und Wohnungseigentumsrecht, Fachanwalt für Sozialrecht, Fachbuchautor, Mediator BM® und BuM, Wirtschaftsmediator, Supervisor, Lehrbeauftragter u.a. an der Kommunalen Hochschule für Verwaltung in Niedersachen und der Leibniz Fachhochschule Hannover sowie geschäftsführender Gesellschafter der Legaxa® GmbH, Hannover.

Weitere Informationen: Bildungseinrichtung Legaxa® GmbH und Link zu Beitrag „Harvard Law School: Fallstricke der Online Mediation und wie man ihnen begegnet – Prof. Noam Ebner“.