Das Modellprojekt „Mediation fördert Integration“ des Vereins Mediation Rhein-Ruhr e. V. umfasste drei Säulen: Mediationen und Workshops in Wohneinrichtungen, ein Notruftelefon und Schulprojekte. Projektleiterin Monique Ridder stellte auf dem Fachportal „Jahrbuch Mediation“ bereits das staatlich geförderte Integrationsprojekt (BAMF) und den Abschlussbericht vor.
Die Säule Schulmediation betreute Elisabeth Hoppe, die in den Ruhrgebietsstädten Oberhausen, Essen und Mülheim Kindern und Jugendlichen Konfliktkompetenzen vermittelte. Die Mediatorin führte Workshops für die „Flüchtlingsklassen“ von Berufskollegs durch und begleitete knapp zwei Jahre lang die Integrations- und Förderklassen der fünften Klassenstufe einer Gesamtschule. Ein Fazit: Die zugewanderten jungen Menschen wollen eine Chance für ihr Leben in Deutschland und sind grundsätzlich offen – vorausgesetzt, sie finden Gehör mit ihren besonderen Problemen und Ängsten. Elisabeth Hoppe gelang es, Vertrauen aufzubauen und mit den Kindern und Jugendlichen gemeinsam Mechanismen und Regeln zu entwickeln, um Konflikte und Eskalationen rechtzeitig anzugehen.
Was war für Sie überraschend bzw. herausfordernd?
Hoppe: Ich erinnere mich noch gut, als ich zum ersten Mal vor meiner Klasse mit Mädchen und Jungen verschiedenster Nationalitäten stand. Der Geräuschpegel im Klassenraum war enorm hoch, dass ich hätte brüllen müssen, um mich vorzustellen. Ich habe einfach normal weitergesprochen und irgendwann war es ruhig und mir wurde zugehört. Das war der erste Schritt, aufeinander zugehen zu können. „Welche Ideen habt ihr für Gesprächsregeln?“ Am Ende war ein Schüler Chef bzw. Ruhestifter und diese Aufgabe wurde jede Woche durchgewechselt, zwischen den Geschlechtern und den Nationen. Es hat meistens funktioniert, weil sie sich selbst Gedanken zu dieser Problemlösung gemacht haben und ich sie ernst genommen habe.
Foto: „Mediation fördert Integration“, Leiterin der Schulprojekte Elisabeth Hoppe, Praxis Heilpraktikerin | Lerntrainerin | Mediatorin (http://www.hoppe-heilpraktikerin.de).
Es war ein Schritt, Verantwortung für sich selbst zu übernehmen?
Hoppe: Ja, Selbstverantwortung zu übernehmen setzt voraus, dass die jungen Menschen ernst genommen werden und ihre Aussagen wichtig sind.
In den Schulklassen und den Workshops der Berufskollegs war es wichtig, dass sie über die Sitten und Gebräuche aus ihren Heimatländern erzählen durften. In einer Klasse waren neun Nationen. Da gab es natürlich viele Unterschiede aber auch Verbindendes, zum Beispiel in Bezug auf die Eltern. Was ist Respekt für euch? Gehorsam gegenüber den Eltern sein, war häufig die Antwort auf diese Frage und von Mädchen „immer lieb und brav sein“. Auch „die Ehre“ ist ein wichtiger Begriff, wobei es dabei meist um die „männliche Ehre“ ging, die nicht beleidigt werden durfte.
Die traditionelle Ungleichbehandlung der Geschlechter führt in einem Land mit Gleichberechtigung zu Verunsicherung und Konflikten?
Hoppe: Ja, dazu gab es einen ganz speziellen Konflikt. Ein Junge war mit seiner Schwester geflüchtet, ohne Eltern. Wie er besucht auch seine Schwester eine deutsche Schule und sie wollte sich mit Schulkollegen in einer Kneipe verabreden. Die Eltern würden das Ausgehen der Tochter niemals erlauben und deswegen sieht er sich genötigt, es ihr auch zu verbieten – ein enormer Konflikt zwischen den Geschwistern, weil der junge Mann gegenüber seiner Schwester die Elternrolle ausfüllen möchte. Die Lösung zwischen den beiden sah so aus, dass das Mädchen im Heimatland nicht weggehen darf, aber hier im gleichberechtigten Deutschland darf sie mit Schulkameraden ausgehen.
Diese notwendige Toleranz lässt sich auch auf die Klassenverbände übertragen, oder?
Hoppe: Ohne Toleranz geht es nicht, wenn so viele unterschiedliche Nationen in den Klassen miteinander auskommen wollen und müssen. Jeder darf seine Heimatkultur behalten, aber in der Schule gilt auch eine neue Kultur, die von Toleranz geprägt sein muss. Mein Ansatz war, dass die „Schulkultur“ von den jeweiligen Klassen gemeinsam entwickelt wird. Dazu gehörte auch der wichtige Punkt, dass Konflikte nicht geheim gehalten sondern rechtzeitig angesprochen werden.
Um welche Probleme ging es?
Hoppe: Gravierend waren die Probleme mit einem Jungen, der aggressiv aufgetreten ist und sogar Stühle durch die Klasse flogen. Einige Jungen haben das Problem mir gegenüber angesprochen. Am Ende sind sie als Gruppe zu dem aggressiven Jungen gegangen und haben eine Aussprache versucht. Allein den Konflikt offen anzusprechen, brachte Ruhe in den Klassenverband.
Wie konnten Sie die Bereitschaft fördern, über Konflikte offen zu sprechen?
Hoppe: Die Gesprächsoffenheit förderte, Mädchen und Jungen zwischendurch zu trennen. Dafür sind wir regelmäßig auf den Schulhof gegangen. Die Besprechung des Konflikts mit dem Jungen fand beispielsweise auf dem Klettergerüst statt.
Mädchen trafen sich meist an der Tischtennisplatte. Streitereien entstanden oft durch unterschwellige Konkurrenzsituationen, zum Beispiel wer in wen verliebt war oder beste Freundin sein wollte.
Um sich über das jeweilige Konfliktthema, das besprochen werden sollte, auszutauschen, habe ich Smilies eingesetzt. Wir nennen es auch ein Konflikt-Thermometer: Wie schwer der Konflikt empfunden wurde, konnte man an der Anzahl der ausgelegten Smilies erkennen, die wir auf dem Schulhof in Abständen ausgelegt hatten, wie bei einem Thermometer. An dem Smilie, an dem sich die meisten Kinder zusammenfanden, wurde sich ausgetauscht. Die Konfliktlösungen wurden dann gemeinsam entwickelt.
Es ging Ihnen als Mediatorin immer darum, dass die jungen Menschen ihre Konflikte selbst lösen?
Hoppe: Absolut, das ist das Wesen der Mediation und wirkt gerade bei Kindern und Jugendlichen, deren Aussagen oft nicht ernst genommen werden. In meiner eigenen Praxis bin ich auch Lerntrainerin. Das hat mir in den Schulprojekten sehr geholfen. Auch Integration kann nur gelingen, wenn wir die jungen Menschen selbst nach Lösungen suchen lassen.
Wie hat die Lehrerschaft reagiert?
Hoppe: Ich habe aus der Lehrerschaft ein gutes Feedback für meine Arbeit bekommen. Aggression, sprachliche und körperliche Gewalt sind in engmaschig begleiteten Klassen wesentlich weniger geworden.
Die Situation an den Schulen ist schwierig. Zu wenige Lehrer bedeuten Überbelastung und viele Vertretungsstunden. Da ist viel zu wenig Zeit für Problemklassen …
Haben Sie auch klassische Mediationen durchgeführt?
Hoppe: Eine besondere Schwierigkeit war der teilweise unterschiedliche Erziehungsstil der unterschiedlich sozialisierten Kulturen. Oft war für Eltern die gewünschte Kommunikation zwischen ihnen und Lehrern unbekannt und sie vermuteten teilweise durch ihre Kinder verursachte Probleme. Diese Art Missverständnisse konnten in Mediationen gut bearbeitet werden. Vereinbarte Termine wurden jedoch zeitweise nicht eingehalten, obwohl sie schon mit Dolmetschern abgestimmt waren.
Wie lässt sich das Modellprojekt „Mediation fördert Integration“ in Schulen integrieren?
Hoppe: Sehr gut! Viele Probleme würden nicht entstehen, wenn am Anfang des Schuljahres dem gegenseitigen Kennenlernen der verschiedenen Kulturen ausreichend Zeit geschenkt würde. Die Möglichkeit der Schüler, von ihrer Heimatkultur erzählen zu dürfen, fördert das gegenseitige Verständnis und zeigt das Verbindende, trotz der kulturellen Unterschiede.
Drei Kennenlernwochen sind besser als nichts, aber meine Utopie sieht ein halbes Jahr bei den Schulanfängern für „Lebens- und Kulturstoff“ vor. Es bildet die Grundlage für ein Miteinander – Stichwort gemeinsame „Schulkultur“ – das auch den Lernstoff leichter bewältigen lässt. An Brennpunktschulen sollten solche „Systemelemente“ regelmäßig in den Schulbetrieb eingebaut werden, zum Gewinn für alle Beteiligten!
Danke! Das Gespräch führte Irene Seidel.
Weitere Informationen: Modellprojekt „Mediation fördert Integration“ (Modellprojekt: Mediation fördert Integration – Interview mit Projektleiterin Monique Ridder – Jahrbuch Mediation (jahrbuch-mediation.de).
0 Kommentare